Über Tauschgeschäfte - oder was nicht Liebe ist
Folge 2 · über Liebe und Beziehungen · Liebe ist unbedingt · Geschäft ist Geschäft
Bedingte Zuneigung ist nicht Liebe
Wenn es sich in einem Wenn-Dann-Satz sagen lässt, ist es nicht Liebe, sondern ein Geschäft.
”Wenn du mit diesen Leuten ausgehst, dann bin ich beleidigt.”
”Wenn du dies nicht für mich tust, dann bin ich schwer enttäuscht.”
”Wenn du diese Entscheidung so triffst, dann lege ich dir eine Szene hin.”
”Wenn du mir ein teures Geschenk machst, dann werde ich dir eine unvergessliche Nacht bescheren (sonst nicht).”
”Wenn du mir täglich eine leckere Mahlzeit servierst, dann belohne ich dich mit meiner guten Laune.”
”Wenn du dich im Krankheitsfall um mich kümmerst, dann teile ich mein Geld mit dir.”
”Wenn du das Essen kaufst, dann zahle ich die Autoversicherung.”
”Wenn ich für dich sorge, dann darfst du mich nicht verlassen.”
Bedingungen. Tauschgeschäfte.
Nichts gegen Geschäfte, solange sie gut sind - und solange alle Beteiligten wissen, dass es sich um ein Geschäft handelt. Jede Wohngemeinschaft funktioniert so.
Der romantische Anspruch an Beziehungen ist ein relativ spätes Phänomen. Nirgends in der Menschheitsgeschichte war Verliebtheit oder gar Liebe das Kriterium für die Begründung einer Lebensgemeinschaft, schon gar nicht dort, wo ausreichend Vermögen vorhanden war, um das Überleben zu sichern. Die Ehe war eine Versorgungsgemeinschaft und man achtete bei der Partnerwahl darauf, dass die Frau gesund und tüchtig war, der Mann ein guter Versorger und Schützer. Die “Liebe” würde sich schon einstellen, wenn die Herzen nicht böse sind und es war die Aufgabe der christlichen Kirche für die Entwicklung des Guten in den Herzen der Menschen zu sorgen.
Wenn das Leben so hart ist, dass jeder den Wert von materieller Versorgung und Erfüllung existentieller Bedürfnisse erkennen kann, ist man dankbar, wenn man jemanden findet, mit dem man so zusammenleben und wirtschaften kann, dass für Nahrung und Schutz gesorgt ist. Wenn man dann noch Frieden, Sympathie und Gesundheit erzeugen kann, ist man gefälligst selig.
Heute schaut man verächtlich auf solche Lebensentwürfe, ohne zu verstehen, wie schwierig diese Normalität herzustellen ist. Die Aufmerksamkeit hat sich stark auf die romantischen und teils extremer noch allein auf die erotischen Aspekte der Liebe hinverschoben. Die ökonomische Situation erlaubt das Single-Dasein. Man sucht Romantik und wahre Liebe und ist dabei sehr wählerisch. Keine Geschäfte bitte. Andere werden streng beurteilt, ob sie auch liebenswert sind. Man wartet auf Zufall oder überdurchschnittlich attraktive, perfekte Partner, die man reich beschenken würde, während man - selbstlos freilich - deren Schönheit, Kraft, köstliche Gefühle und alle ihre Tugenden genießen würde. Die Mehrheit hat hingegen selbst keineswegs genug auf der Pfanne, um in der anvisierten Liga mitzuspielen. Es braucht eigene Schönheit, äußere oder wenigstens innere, und Vermögen, physisches und geistiges im Überschuss, wenn man geben will - und nicht nur nehmen.
Also ist die einzige Frage in Liebesdingen: Bin ich in der Lage bedingungslos zu lieben?
Es gab in der Hippiezeit ein Lied, der Refrain ging: “If you can’t be with the one you love, love the one you’re with.” Um die Liebe zu üben, braucht es Übungsobjekte. Die ganze Welt ist ein Praxisfeld. Wer Menschen anstrengend findet, kann anfangen, mit Tieren zu üben. Hunde lieben bedingungslos. Katzen auch. Wenn sie lieben, lieben sie echt und wirklich. Üben Sie bedingungslos zu lieben und geliebt zu werden mit einem Tier, wenn Sie sich an Menschen noch nicht herantrauen. Menschen sind kompliziert. Und egoistisch.
Deshalb predigte und lehrte Jesus den Menschen die bedingungslose, reine und einzige Liebe. Sie war sein Kernprodukt und die Menschen fanden und finden das bis heute gut und erhebend. Er vertrieb aggressiv die Händler aus dem Tempel. Denn Geschäfte und Liebe sind unvereinbar. Vermutlich verliert die christliche Kirche deshalb Anhänger, weil sie sich nicht auf ihr Kerngeschäft besinnt. Im Bereich der bedingungslose Liebe hatte sie über Jahrhunderte quasi die ‘unique selling position’. Die Menschen fanden und finden bedingungslose Liebe toll. Warum? Weil sie die einzige Form der Liebe ist! Es gibt keine andere.
Wenn der wöchentliche Gang zur Messe am Sonntag die Liebe für alle fühlenden Wesen im eigenen Herzen inspirieren und entfachen konnte, war man glücklicher, denn es gibt nur die Liebe, die man selbst spürt. Liebe gibt es nur, wenn man selbst liebt.
Das kroatische Dorf, aus dem meine Mutter stammt, gehört zu einer Pfarrei, in die vor einigen Jahren ein junger Priester kam. Dieser Mann ist so außergewöhnlich, dass ausnahmslos jeder in den umliegenden Dörfern ihn kennt. Er ist ein echter Mensch. Er ist sehr attraktiv, hochintelligent, und hat außer Theologie noch Geschichte und Politik studiert. Viele andere Lebenswege hätten ihm offen gestanden, doch er fühlt sich zum Priester berufen. Nichts an ihm ist künstlich und falsch. Er raucht, trinkt Schnaps, lacht laut. Seine blauen Augen leuchten klar, seine Stimme ist fest und freundlich. Er ist kraftvoll und ehrlich und er predigt ausschließlich die Botschaft Jesu: von der bedingungslosen Liebe. Er lebt Liebe. Er predigt Liebe. Er erweckt Liebe. Er ist die Liebe, auch wenn er nichts sagt. Sein Dasein ist so spürbar anders als das aller anderen. Sein Einfluss ist Balsam für jeden, der mit ihm Zeit verbringt.
Die Leute strömen wieder in die Kirche, verpassen keine Messe. Jeder will sich bei ihm auftanken. Sie schenken ihm alles, was er braucht und er braucht nichts. Er will nie Geld. Die Leute haben seit seiner Ankunft begonnen, die alten kleinen Kirchen, ihre eigenen Gebetsstätten, wieder neu auszustatten. Sie tun es für ihn und er gibt es ihnen sofort zurück. Das Produkt, das er in der Kirche verschenkt, ist die Erweckung der bedingungslosen Liebe im Herzen jener, die ihm zuhören. Der Mann ist unglaublich. Eigentlich sollten alle Priester so sein, aber ich habe so einen Menschen als Priester noch nie gesehen. Die Momente mit ihm sind unvergesslich.
Liebe, Mitgefühl, Freundlichkeit, zärtliche Zugewandtheit brauchen Übungsobjekte. Ob mich jemand anderes liebt, ist dessen Herzenssache, nicht mein Verdienst. Ob ich zu echter Liebe fähig bin, ist meine Sache.
Ich weiß, dass stabile Partnerschaften und Ehen Verpflichtungen mit sich bringen. Der Alltag will, dass jeder seine Verantwortungen erfüllt, damit das gemeinsame Leben funktioniert. Ob all das geschäftliche Transaktionen sind, oder ob sie aus Liebe geschehen, weiß jeder nur für sich selbst. Eltern buttern oft lebenslang in ihre Kinder und erwarten nichts zurück. Sie wollen, dass die Brut gedeiht, sonst nichts.
Liebe selbst ist bedingungslos. Bedingte Liebe existiert schlicht nicht.
Ist eine Empfindung bedingt, ist es ein egoistisches Geschäft. Der bedingte Teil einer menschlichen Beziehung ist immer ein Tauschgeschäft. Wenn du - dann ich.
Man kann kaum mit einem anderen Menschen umgehen, ohne dass sich Fragen zu Investition von Zeit und Arbeit, zu Geld, zur Aufteilung von Verantwortung irgendwann stellen. Menschen verlangen in ihren Beziehungen Reziprozität. Es soll gerecht zugehen. Werden die erbrachten Leistungen zu Bedingungen für das Mögen? Werden die Bedingungen irgendwann zum Druckmittel, hat es nichts mit Liebe zu tun. Wenn man enttäuscht ist, dass gute Freunde einem das Inkasso-Unternehmen vorbeischicken, hat man den Schuss nicht rechtzeitig gehört.
Es ist eine Standardsituation.
Die meisten langjährigen Beziehungen, die ich gesehen habe, sind in Wirklichkeit Geschäftsbeziehungen. Mal subtil, mal offen. Manchmal hat jemand die Bedingung für vermeintlich ewige Treue geschaffen. “Ich habe damals zu dir gehalten, als es dir so schlecht ging, deshalb darfst du mich nie verlassen (ohne, dass du ein Schuft bist).”
Eine Gefängnissituation.
Die Kontrollfrage ist: Liebe ich diesen Menschen, wenn meine Bedingung, meine Forderung oder mein Wunsch nicht erfüllt wird? Will ich sein Bestes? Will ich, dass seine Wünsche sich erfüllen? Oder will ich, dass er meine Wünsche erfüllt? Was geht in mir vor, wenn ich gebe? Was geht in mir vor, wenn ich empfange? Lasse ich mich beschenken, ohne bereits die Abgeltung zu planen? Lasse ich mich lieben? Gebe ich unbedingt?
Man kann das Thema in unendlich vielen Variationen durchspielen, aber der wichtigste Merksatz ist: Wenn-Dann-Sätze kennzeichnen die Geschäftsbeziehung, nicht die Liebe.
Nur, was man aus vollkommen freien Stücken fühlt und schenkt, ist Liebe. Und nur, wenn man Geschenke und köstliche Gefühle annehmen kann, ohne sofort Vergeltung zu üben, ist man zum Geliebtwerden fähig.
Wie ist das bei Ihnen? Gibt es jemanden, den sie einfach nur lieben? Rein, bedingungslos und im Moment?